
Nach dem jüngsten konzertierten Abschied mehr als 60 deutschsprachiger Hochschulen und Forschungseinrichtungen von “X” (früher, die Älteren erinnern sich vielleicht, “Twitter”), die ihre Präsenz und Aktivitäten auf der Social Media-Plattform wegen zunehmender Unvereinbarkeit des dortigen Diskurses mit demokratisch weltoffenen Werten eingestellt haben, bin ich der gestrigen “Campus & Karriere”-Sendung im Deutschlandfunk (“Schluss mit X – Welche Info-Kanäle und Diskursräume braucht Wissenschaft?”, DLF 18.01.2025) mit einigem Interesse gefolgt. Moderiert von Regina Brinkmann haben sich dort Amrei Bahr, Juniorprofessorin für Philosophie der Technik und Information an der Universität Stuttgart, und Christina Beck, Leiterin Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft darüber diskutiert, welchen Stellenwert Social Media im Allgemeinen für die Wissenschaftskommunikation (noch?) haben (sollten) – und ob der Verbleib demokratisch verankerter Institutionen auf Plattformen wie X im Besonderen wirklich mit Sichtbarkeit und Reichweite zu rechtfertigen ist.
Ich muss gestehen, dass die Nachdrücklichkeit mit der Frau Beck vor allem Argumente für letzteres vortrug, mich doch etwas überrascht hat. Man mag diesen “eXit” aus jeweils guten Gründen bedauern oder kritisieren, angesichts auseinanderbrechender Communities, zurückgehender Interaktion und intransparenter algorithmischer Verzerrungen müssen wir uns meines Erachtens allerdings durchaus die Frage gefallen lassen, ob die von uns als kommunizierenden Forschenden (und Einrichtungen) reklamierte Notwendigkeit dort als rationales Gegengewicht in einem postfaktisch verzerrten Diskurs agieren zu müssen, tatsächlich noch die Rolle ist, die wir dort einnehmen können.
Selbst in einem vergleichsweise “nischigen” Thema wie der Archäologie, ist in den bei Twitter/X verbreiteten Inhalten inzwischen eine deutlich Fokussierung auf und Priorisierung von “rage bait” zu bemerken. Größere Sichtbarkeit erreichen dort nun in der Regel auf maximale Kontroverse angelegte Postings, die fast immer mehr oder minder prominente Verschwörungsmythen aufgreifen oder variieren – was einige User nicht zuletzt dank der 2023 flächendeckend ausgerollten Content-Monetarisierung zu einem Geschäftsmodell auszubauen wollen scheinen. Engagement zu erzeugen bedeutet hier also finanziellen Gewinn – mit der Konsequenz, dass auch kritische Aufmerksamkeit nicht als negativ aufgefasst, sondern viel mehr bewusst in Kauf genommen, ja regelrecht einkalkuliert wird, um auch von empörtem Engagement zu profitieren.
Während also aktive Wissenschaftskommunikation vom X-Algorithmus nicht länger belohnt zu werden scheint und in kleiner werdenden Echoräumen verhallt, sind kommunizierende Forschende dort, so mein (zugegeben subjektiver und womöglich anekdotischer) Eindruck, offenbar mehr und mehr in eine defensiv-reagierende, korrigierende Rolle geraten. Und doch tappt jeder Debunking-Versuch, jede noch so konstruktive, mit Fakten und Quellen hinterlegte Richtigstellung letzten Endes in die Empörungsfalle, dreht die Aufmerksamkeitsspirale – durchaus im Sinne der ursprünglichen Absender und deren Monetarisierungsabsichten – weiter.
Und ja, es bereitet Bauchschmerzen sich ausgerechnet in einer solchen Situation zurückzuziehen; leicht fällt das niemandem. Welche Auswirkungen wird das Fehlen eines Korrektivs langfristig auf die Verbreitung von Desinformation auf diesen Plattformen haben? Tragen wir mit einem Rückzug nicht sogar noch dazu bei? – Interessanterweise scheint das, wenigstens in der (Pseudo-)Archäologie-Echokammer, die ich (ja, wiederum subjektiv, wiederum anekdotisch) selbst berufsbedingt und interessehalber aufmerksam beobachte, tatsächlich eher nicht der Fall zu sein.
Dort ist zu beobachten, wie zuvor meist sensationsheischend überspitzte Erzählungen von archäologischen “Mysterien” über “verlorene” Stätten und ganze Zivilisation bis hin zu den obligatorischen “Ancient Aliens” inzwischen immer pointierter, noch extremer, radikaler werden müssen, um mangels empört-korrigierender Interaktion durch die Community oder Fachleute eine dennoch vergleichbare Aufmerksamkeit zu generieren wie zuvor. In einem Maße, dass sich inzwischen gar die eigene Followerschaft entsprechender Accounts davon irritiert zeigt.
Verlieren Forschende, verliert “die Wissenschaft” also mit einem Rückzug von solchen Fehl- und Falschinformationen verstärkenden Social Media-Plattformen an Einfluss auf die Einordnung von Forschungsdaten und -ergebnissen oder Reichweite bei den relevanten Zielgruppen? Ehrlich gesagt, glaube das mit Blick auf diese Beispiele nicht nicht. Entsprechende Filterblasen scheinen zusehends selbst-selektierend zu agieren: Ja, Personen mit entsprechend extremen Ansichten werden sich hier bestätigt finden. Aber seien wir ehrlich: Wären die denn auch zuvor mit aktiver Wissenschaftskommunikation auf diesen Kanälen erreicht und zu überzeugen gewesen? Die interessierten “Unentschiedenen”, jene Nutzerinnen und Nutzer auf Informationssuche also, die wir gemeinhin als (ein) Zielpublikum ausmachen), scheinen sich ob der für die Aufmerksamkeitsspirale notwendigerweise immer extremer werdenden Narrative nach und nach abzuwenden.
