
Da geht mit dem April ein ziemlich geschäftiger Monat zu Ende. Das hat sich auch hier auf dem Blog bemerkbar gemacht, fürchte ich. Was freilich nicht heißt, dass sonst archäologisch nichts los gewesen wäre.
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Immerhin, zu Ostern konnten wir – so viel Zeit muss selbst zwischen Steuererklärung und Balkongartenaussaat sein – einen ausführlichen Blick auf den archäologischen Nachweis von Kreuzigungen in römischer Zeit werfen. Was, zugegeben, insofern überschaubar bleibt als die entsprechenden Befunde sich an einer Hand abzählen lassen. Das wiederum ist an sich schon ganz interessant, denn den schriftlichen Quellen zufolge, war das keine gar so seltene Strafe. Mehr dazu wie gesagt hier im Blog.

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Da haben die, im übrigen sehr geschätzten, Kolleginnen und Kollegen der Norton Disney History and Archaeology Group aber eine hübsche Debatte losgetreten. Auf ein eBay-Angebot (“museum grade replica”) hin, bei dem die Replik eines im Sommer 2023 in Lincolnshire, England, gefundenen sogenannten Dodekaeders angeboten wurde (eines jener “mystery objects”, dieses aus römischer Zeit, von dem noch nicht recht klar ist, welchem Zweck sie eigentlich gedient haben), hatten sie zunächst – und das fraglos zurecht – vor allem auf die nicht zuvor abgesprochene, also unerlaubte, Verwendung urheberrechtlich geschützter Fotos in der Anzeige hingewiesen. Dann aber verlagerte sich die Diskussion auf eine andere Ebene und bald ging es um die viel allgemeinere und meines Erachtens spannendere Frage danach, wem eigentlich das Urheberrecht für archäologische Artefakte zusteht, deren eigentliche Produzenten längst nicht mehr ausfindig zu machen sind. Eine Diskussion, die ganz sicher noch nicht an ihrem Ende angelangt ist.
Im Cantanhez-Nationalpark im westafrikanischen Guinea-Bissau haben Forschende unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Exeter Schimpansen dabei beobachtet, wie sie vergorene Brotfrüchte nicht nur sichtlich genossen, sondern auch miteinander teilten. Nicht in Mengen allerdings, die zu einem bösen Kater am nächsten Morgen führen würden. Das wirft ein interessantes Licht auf die Rolle von Alkohol im Rahmen sozialer Gruppeninteraktion und bei der Stärkung sozialer Bindungen innerhalb von, verallgemeinern wir das einmal ganz großzügig, Hominiden-Gemeinschaften.
Klar, man hat das hinlänglich in alten (und auch ein, zwei jüngeren) Hollywoodschinken gesehen: Im alten Rom kämpften Gladiatoren gegen andere Gladiatoren – und gegen allerlei unangenehm große und aggressive Raubtiere. Auch die ein oder andere zeitgenössische Schriftquelle und Abbildung überliefert solche Szenen. Nun aber erbringen Bissspuren an den Knochen eines vor gut 1.800 Jahren in York im heutigen England vermutlich auf einem Gladiatorenfriedhof bestatteten Mannes nach Aussage der Ausgräber den offenbar ersten konkreten physischen Beweis für solche Begegnungen zwischen Mensch und Raubkatze in der antiken Arena – und werfen ernsthaft die Frage auf: Woher bitteschön bekommt man in York einen Löwen?

Von wahrscheinlich nicht minder dramatischen Begegnungen zeugt auch die aus einem (womöglich Bison-) Knochen gefertigte, etwa 9 cm lange Speerspitze, die in der Mesmaiskaja-Höhle im nordwestlichen Kaukasus (Rußland) gefunden wurde. Allerdings ist diese Waffe deutlich älter: Die nämlich ist vor gut 70.000 bis 80.000 Jahre gefertigt worden – und zwar, und das macht diesen Fund so besonders, wahrscheinlich von Neanderthalern angefertigt worden. Ein bemerkenswerter Beleg für deren hochentwickelte Jagdwerkzeuge bereits vor Ankunft der anatomisch modernen Menschen in Europa.

Die obligatorische Pompeji-Nachricht kommt in diesem Monat aus der sogenannten Casa die Elle e Frisso, wo neue Funde uns die dramatischen letzten Momente der zum Zeitpunkt des Vesuv-Ausbruchs 79 n. Chr. dort vermutlich lebenden Familie sehr nahe bringen: Mindestens vier Personen, darunter ein Kind, hatten sich in einem Schlafzimmer des Hauses verbarrikadiert und die Tür mit einem Bett versperrt, um sich vor hereinströmenden Pyroklasten und der Vulkanasche zu schützen. Leider vergeblich, denn gegen die schließlich eindringende, bis zu 360°C heiße Glutwolke half auch das nicht mehr. Die sterblichen Überreste der darin umgekommenen Familie sowie die in der Asche konservierten Abdrücke des Holzbettes wurden während der anhaltenden Ausgrabungen vor Ort entdeckt und dokumentiert. In der Geschichte und eben auch Archäologie, das zeigt auch dieses Beispiel eindrucksvoll aufs Neue, geht es um Schicksale und die Lebensgeschichten von Menschen.
Und zu guter Letzt: Die schon unmittelbar nach Veröffentlichung in den Scientific Reports im September 2021 heftig kritisierte kontroverse Studie von Ted E. Bunch et al. über eine vermeintliche Kometenexplosion vom Ausmaße des sog. Tunguska-Ereignisses 1908, die in der Bronzezeit eine ganze Siedlung am Tall el-Hammam im Jordantal ausgelöscht – und die Sodom-Geschichte aus dem Alten Testament inspiriert haben soll, ist nun endgültig zurückgezogen worden.
Leseecke
Empfehlen möchte ich in diesem Monat unbedingt eine neue, in Nature veröffentlichte Studie. Die Autorinnen und Autoren der Forschungsgruppe um Eleanor M. L. Scerri berichten dort von neuen archäologischen Funden auf Malta, die belegen, dass mesolithische Jäger und Sammler vor etwa 8.500 Jahren – und damit gut 1.000 Jahre früher als bisher angenommen – die Insel erreicht hatten. Zugleich wäre das der mithin früheste bekannte Nachweis für Hochseeschifffahrt im Mittelmeer – und ein Zeugnis der beeindruckenden nautischen Fertigkeiten im Mesolithikum: E. M. L. Scerri et al., Hunter-gatherer sea voyages extended to remotest Mediterranean islands, Nature 641, 2025, 137–143, https://doi.org/10.1038/s41586-025-08780-y.
Spannende Lektüre gibt es auch zu den neolithischen Ganggräbern Irlands: Aktuelle aDNA-Analysen verweisen hier auf ein offenbar komplexes Muster kleinerer mobiler Gruppen, die sich saisonal an gemeinsam genutzten Monumenten begegneten, um weiträumige Verwandtschaftsnetze über große Distanzen und Generationen hinweg zu knüpfen. Eine komplexe Abfolge von Bestattungsritualen könnte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, denn die Autorinnen und Autoren der Original-Studie (N. Carlin et al., Social and Genetic Relations in Neolithic Ireland: Re-evaluating Kinship, Cambridge Archaeological Journal, published online 2025 🔓) beschreiben die nämlich als recht dynamisch, inklusive Einäscherung, der Zurschaustellung oder gar Zirkulation von Körperteilen und schließlich deren Beisetzung sowie erneute spätere Entfernung.
Besonders zu empfehlen ist auch die Reportage über die Hethiter in der aktuellen Ausgabe des National Geographic Magazine. Für die hat Autor Andrew Curry auch die Ausgrabungen der Kolleginnen und Kollegen des DAI Istanbul und ihrer Partner in Boğazkale in der Türkei besucht und gemeinsam mit Grabungsleiter Andreas Schachner Ḫattuša, die frühere Hauptstadt des Hethiterreichs, erkundet. Vor allem die aufwendigen Infografiken und Rekonstruktionszeichnungen sind eine Augenweide und laden zum Entdecken ein. Der Artikel ist sowohl in der englischen als auch in der deutschen Mai-Ausgabe von National Geographic zu finden.
Mediathek
Wie klingt eigentlich eine Weltkulturerbestätte? Wer sich das schon immer gefragt hat (oder spätestens jetzt neugierig geworden ist), dürfte mit dem Sonic Heritage-Projekt seine helle Freude haben. Dort nämlich werden Klanglandschaften als Teil des immateriellen kulturellen Erbes gesammelt – vom Vogelgesang auf Neuseeland bis zu buddhistischen Zeremonien in Angkor Wat, vom Taj Mahal bis zum Eiffelturm. Die Website zum Projekt wartet mit einer interaktiven Klangkarte und faszinierenden Einblicken (oder sollte es besser Einlauschern heißen?) in die akustische kulturelle Vielfalt dieser Welt auf.
Etwas für die Ohren ist auch der (englischsprachige) Podcast “The Ancient World” von und mit Scott Chesworth, der sich Zeit lässt, komplexe kulturhistorische Phänomene über mehrere Episoden hinweg zu durchleuchten. Gut für verregnete Frühlingssonntage (wenn man denn die Kinder irgendwie beschäftigt bekommt).
Der massive Wandel, der Social Media-Plattformen wie X, formerly known as Twitter, erfasst hat, zeichnet sich in jüngster Zeit (wir hatten das ja an anderer Stelle hier schon einmal) durch einen deutliche Zuwachs an Verschwörungsmythen und pseudowissenschaftlichen Inhalten aus, die auch archäologische und historische Themen verarbeiten und nicht selten gehörig verzerren. Eine ganze Reihe engagierter Kolleginnen und Kollegen bemüht sich hier um Aufklärung und Richtigstellung – oft ist für ein Publikum auf den ersten Blick ja gar nicht so offensichtlich, was an mancher Erzählung denn nun stimmt und was nicht. Einen guten Überblick über derzeit kursierende Narrative (und was es damit auf sich hat) bietet zum Beispiel ein aktuelles Video auf dem Kanal Professor Dave Explains zum Thema Pseudoarchäologie.
Und wo wir weiter oben gerade noch gemeinsamen Alkoholkonsums als Katalysator für soziale Innovation gesprochen haben, fällt mir ein, dass ich im April wieder einmal bei einem Science Slam in Hamburg war – und dort über unsere Forschungen am Göbekli Tepe gesprochen habe und darüber, welche Rolle große Feste womöglich bei der Errichtung der Monumente gespielt haben. Das Ganze gibt es auch hier als Videomitschnitt auf dem YouTube-Kanal von scienceslam.de.

